Vor dem Berliner Olympiastadion fahren 50 Autos Schlangenlinien. Ein dunkler Mercedes streift den Bürgersteig dabei ist die Straße gut 20 Meter breit. Wie können so viele Menschen so übel Auto fahren? Des Rätsels Lösung ist für die Zuschauer erst Recht eine Überraschung: Alle Autofahrer sind blind, ihr weißer Stock liegt zusammengeklappt auf dem Rücksitz. Verkehrte Welt? Fahrlehrer Bodo Krüger muss lachen, wenn er die entgeisterten Gesichter sieht. «Ja, heute fahren sie wirklich wie die Blinden», sagt er. Den Spruch bringt er sonst aus Jux, im rastlosen Berliner Stadtverkehr. Nun lässt er seine blinde «Schülerin» Ute Mütze Kuppelung, Gas und Bremse mit den Füßen ertasten, zeigt ihr, wo sie den Schaltknüppel und die Handbremse fühlen kann. «Ich bin ganz cool», sagt die 60-Jährige gelassen. «Und wo ist jetzt die Straße?» Die kuriosen Fahrstunden am Olympiastadion sind mehr als ein Spaß. Gemeinsam organisiert vom Berliner Blindenverein und vom Fahrlehrerverband soll die Aktion «Blind am Steuer» mehr Verständnis für Sehbehinderte im Straßenverkehr wecken. In Gesprächen erfahren die Fahrlehrer, was Menschen ohne Augenlicht Schwierigkeiten bereitet. Der Grüne Pfeil zum Beispiel, wenn die Rechtsabbieger anfahren. «Ich denke dann, ich kann losgehen», berichtet Ute Mütze. «Dabei steht die Fußgängerampel noch auf Rot». Manchmal hupen Autofahrer auch, um Menschen mit weißem Stock auf ein Hindernis aufmerksam zu machen. «Ich erschrecke mich dann nur», ergänzt Ute Mütze. «Ich kann ja nicht sehen, was sie meinen.» Sie klagt über falsch geparkte Autos auf Gehwegen, Hindernissen, mit denen sie nicht rechnet. «Ganz schlimm sind zugeparkte Kreuzungen». Erleichterung schaffen ihr dagegen Ampeln mit akustischen Signalen. Der Blindenverein kann nur an das finanziell klamme Land Berlin appellieren, nicht auch noch an dieser Hilfe zu sparen. Doch nun sitzt Ute Mütze auf der anderen Seite: am Steuer. Zackig beschleunigt sie auf 40 Stundenkilometer. «Das ist schon ein gutes Gefühl», sagt sie. «Es hat etwas von Macht, diesen Kasten allein in Gang zu setzen». Die 60-Jährige, die als Kind erblindete, liebt die Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Sie hat Jura studiert, war Richterin am Berliner Verwaltungsgericht und hat zwei Töchter allein groß gezogen. Da hat sie keine Angst vorm Autofahren. Ihr Fahrlehrer lässt sie gewähren, greift nur ein, wenn es richtig eng wird. Für Detlef Friedebold, Vize-Vorsitzender des Blindenvereins, ist die Sache mit den Autos schwieriger. «Ich bin erst mit 30 erblindet und war ein Autonarr», erzählt der 56-Jährige. «Das war echt hart, aufhören zu müssen». Noch immer interessiert er sich für Auto- Technik, ertastet neue Navigationssysteme. «Meiner Frau sage ich heute, wann sie schalten soll», ergänzt er. «Ich höre das besser.» Über 400 Blinde und Sehbehinderte haben sich zum Autofahren in Berlin angemeldet - die ältesten Teilnehmer sind über 70 und freuen sich auf eine Abwechselung im Alltag. Die jungen Blinden aber, aufgeregte 17-Jährige mit erstem Schnauzbert, wollen richtig Spaß haben. Einmal einen Mercedes auf 60 Sachen zu bringen, mitreden zu können, wenn die Freunde über Fahrstunden reden, Motoren und PS. Sie wollen das alles einmal fühlen, sehen werden sie es nie. (Quelle: www.web.de) |